UMBO – ein “Urknall” der modernen Fotografie
UMBO – dieser Name steht spätestens seit der von Herbert Molderings 1995 eingerichteten Retrospektive dieses Künstlers als Synonym für eine Art “Urknall” der modernen Fotografie Mitte der 1920er Jahre: UMBO, geboren 1902 in Düsseldorf als Otto Maximilian Umbehr, als zweites von zehn Kindern eines Bauingenieurs und einer Lehrerin, gilt als Erfinder des Bildes der Neuen Frau, des neuen Bildes der Straße, der fotografischen Reportage schlechthin. Sein Name steht für den jugendbewegten Aufbruch der Wandervögel aus der Wilhelminischen Ära ins frühe Bauhaus.
Er steht ebenso für die in den 1920er Jahren vor allem von osteuropäischen Immigrant innen beflügelte Medienmetropole Berlin, für eine sich rasant entwickelnde Film‑, Musik‑, Theater- und Kleinkunstszene, für Blicke in die Hinterhöfe und Wohnküchen überquellender Mietskasernen. UMBO: Das ist der an sich zweifelnde junge Künstler, der dank der von seinem Bauhauslehrer Johannes Itten und seinem Künstlerfreund Paul Citroen empfangenen Impulse quasi über Nacht als Fotograf berühmt wird und an allen bedeutenden Avantgardeausstellungen seiner Zeit teilnimmt; der, so die Erzählung, den Nationalsozialismus als “Anti” durchsteht, dessen Berliner Atelier und Archiv 1943 durch Bomben völlig zerstört wird und dessen Anknüpfungsversuche an die frühere Existenz als Fotograf der Avantgarde im Wirtschaftswunder der bundesdeutschen Nachkriegszeit in Hannover scheitert; dessen expressives Früh, dann neusachliches Werk in den 1970er Jahren wiederentdeckt wird; und der 1979, kurz vor seinem Tod, noch in der Spectrum Photogalerie im “Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel” seine erste Einzelausstellung im musealen Kontext erlebt.
Diese Publikation nun, die eine Auswahl von 200 Werken und zahlreichen Dokumenten präsentiert, speist sich wesentlich aus dem Nachlass UMBOs. Über Jahrzehnte von Phyllis Umbehr, der Tochter des Künstlers, und dem Galeristen Rudolf Kicken behütet und bewegt, konnte der Nachlass UMBOs 2016 dank des Engagements zahlreicher Partner von der Stiftung Bauhaus Dessau, der Berlinischen Galerie und dem Sprengel Museum Hannover gemeinsam erworben werden. Mehr als 600 Fotografien und umfangreiches Quellenmaterial, ergänzt um frühere Erwerbungen der Partnerinstitutionen Berlinische Galerie und Stiftung Bauhaus Dessau, im Fall des Sprengel Museum Hannover aus dem Nachkriegsarchiv REPORT/ Simon Guttmann, London, bilden den Hintergrund.
Und trotzdem lässt sich die Frage danach, wie dieser Fotograf in die komplizierten ‑Geschichtsverläufe seiner Zeit verwoben war, nur vage beantworten: Erhalten blieben lediglich jene frühen Bilder, die UMBO als seine besten an Freunde weitergereicht oder an einige wenige Sammler gegeben hat. An die Oberfläche geschwemmt werden zudem im Zuge der Digitalisierung von Bildbeständen immer wieder Aufnahmen, die nicht immer unter UMBOs Namen in Presseagenturen und Verlagen aus jenen Jahren zirkulierten. Dennoch ergibt das Material, ergänzt um ausgewählte Presseveröffentlichungen, ein äußerst vielschichtiges, schillerndes Bild, eine Künstlerbiografie des 20. Jahrhunderts voller Diskontinuitäten, Brüche und unbeantworteter ‑Fragen. Sie kreisen nicht zuletzt um das Scheitern der Avantgarde und die Schwierigkeit, nach dem Zweiten Weltkrieg an deren Erfolge anzuknüpfen. Die Publikation UMBO. FOTOGRAF. bietet daher die Möglichkeit, die vielen Projektionen, die sich mit dem Namen UMBO verbinden, mehr als zwei Jahrzehnte nach der ersten Retrospektive erneut zu überprüfen.
Ausstellungen:
Sprengel Museum Hannover, 8/2–12/5/2019
Berlinische Galerie, Berlin, 21/2–25/5/2019