Auf gemeinsamen Reisen und Expeditionen mit Anthropologen hat Sharon Lockhart den Werkzyklus an zwei verschiedenen Plätzen im brasilianischen Amazonas-Gebiet realisieren können. Mit ihren Bildern eines Fischerdorfes auf der Insel Apeú-Salvador und von Kautschukzapfer-Siedlungen am Rio Aripuanã erkundet sie die komplexe Beziehung zwischen Fotografie und Film und ihren sich wandelnden Status als Medien der Dokumentation. Eine Auswahl früherer Arbeiten gestattet es dem Betrachter ferner, Vergleiche anzustellen.
“Aripuanä River Region: Interview Locations” entstand während einer Bootsfahrt von Dorf zu Dorf flussauf und ‑abwärts. Bei jedem Halt befragte die Anthropologin eine oder mehrere Familien in ihrer gewohnten Umgebung. Im Anschluss dokumentierte Sharon Lockhart in sachlicher Distanz und Schwarzweiss einzig die leeren Gesprächsorte und präsentiert sie sozusagen als uninszenierte Interieurs. Die Bewohner erscheinen nur mittels abfotografierter Schnappschüsse aus ihren Familienalben, die eine intimere und gleichsam authentischere Form von fotografischer Erinnerung vermitteln.
In der Serie “Apeü-Salvador: Families” hingegen posieren die Inselbewohner unmittelbar für die Kamera, wobei sich jedes Portrait der durchwegs frontal aufgereihten Familien in leisen Änderungen repetiert. Lockhart begibt sich mit einer der Konzeptkunst nahen Systematik auf das Terrain der Feldforschung und der ethnografischen Dokumentarfotografie. Dieses Genre, das traditionell mit wissenschaftlicher Methodik das Unvertraute und Andere erforschen, aber auch kontrollieren will, unterwandert sie gleichzeitig mit einer insistierenden Nähe zum betrachteten Gegenüber, die ebenso eindringlich wie unergründlich ist.
Ausstellungskatalog zu den Ausstellungen in:
Museum Boijmans van Beuningen
Kunsthalle Zürich (25.03.2000–21.05.2000)
Kunstmuseum Wolfsburg
First edition
Essays by Timothy Martin and Karel Schampers
Taking a cinematic approach to photography, Sharon Lockhart’s photographs are the result of comprehensive preparation and staging. This book presents images taken in Brazil’s Amazon Basin, in a fishing village on the island of Visio and among the rubber-trappers along the river Madeira. Focusing on a balance between composing to bring out certain aspects in her subjects and capturing the natural relationships of people in their own surroundings, Lockhart’s photographs explore an interesting mixture of narrative and documentary. Essays by Timothy Martin and Karel Schampers look at the photos in the context of her previous work and the anthropological significance of her working methods.