Land ohne festen Boden ist das Porträt einer Gemeinschaft am Rand der Stadt Baku, wo die Öldämpfe aus dem Boden steigen und das Land zu einer durchlässigen, morastigen Oberfläche machen. Aber auch im übertragenen Sinn ist der Boden unter den Füssen der dort lebenden Menschen alles andere als fest: In den Ruinen und den Verschmutzungen der Ölindustrie wohnen sie abseits der Gesellschaft in prekären Verhältnissen mit Aussichten auf eine ebenso unsichere Zukunft.
Die aserbaidschanische Fotografin Rena Effendi zeichnet ein einfühlsames Bild des Milieus, in dem sie aufgewachsen ist. Sie begibt sich im Buch auch auf die Spuren ihrer eigenen Herkunft und ihrer Familie. Verwoben mit den Fotografien des heutigen Baku ist die Lebensgeschichte ihres Vaters, der als Zoologe Schmetterlinge sammelte und ablichtete. Fragilen Schmetterlingen gleich sehen wir Kinder in einer widrigen Umwelt spielen oder Frauen in Ölfeldern Kartoffeln pflanzen sie strahlen trotz der kargen Umstände eine ungebändigte Lebenskraft und Schönheit aus.
‘Land ohne festen Boden ist auch ein Buch meines Vaters Rustam Effendi, einem regimekritischen Entomologen, der sein Leben dem Studium, der Jagd und dem Sammeln von Schmetterlingen in der Sowjetunion widmete. Nach seinem Tod dem staatlichen Zoologieinstitut Aserbaidschans übergeben, löste sich seine umfassende Sammlung nach und nach auf. Zusammen mit Tausenden Gläsern voll Schmetterlingsstaub bleiben als einziges sichtbares Zeugnis seines Lebenswerks fünfzig Fotografien bedrohter Schmetterlingsarten, aufgenommen für ein nie veröffentlichtes Manuskript.Neben den toten, aber in allen Regenbogenfarben leuchtenden Schmetterlingen meines Vaters zeigen meine Aufnahmen das Leben in einer der verschmutztesten Regionen der Erde in der Nähe von Baku, wo ich geboren wurde und aufwuchs. In meiner Vorstellung ziehen sich die Fotografien gegenseitig an, wie es auch bei mir und meinem Vater war. Durch die Arbeit an diesem Buch habe ich ihn viel besser kennengelernt als zu Lebzeiten. Mit salziges Wasser lässt sich der persische Name der Abseron-Halbinsel übersetzen. In und um Baku, ihrer Hauptstadt, atmet der Boden Erdöldämpfe aus, Öl sickert an die Oberfläche und weicht sie auf. Das Kaspische Meer umarmt das Land und versalzt seine ölzerklüftete Erde. Ich habe das unfruchtbare, flüssige Land Abserons fotografiert — den Zerfall seiner Umwelt und seiner Siedlungen und die Menschen, die inmitten des Chaos von Industrieverschmutzung leben. Mein Vater hat an der frischen Bergluft gearbeitet. Die Schmetterlinge, die er seit seiner Kindheit jagte, weisen eine spektakuläre Symmetrie auf. Sorgfältig auf Pflanzen gesetzt, leuchten sie in lebhaften Farben.’