Camera Austria International 135

Franke, Anselm/Gau, Sonke/Möllmann, Dirck/Kholeif, Omar

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»Geschich­te ist glei­cher­ma­ßen eine Fra­ge des Wis­sens wie des Erzäh­lens und in hohem Maße auch des Stand­punkts, von dem aus erzählt wird«, schreibt Anselm Fran­ke in sei­nem Essay zu den Arbei­ten Ines Scha­bers. Und, dass eine Gesell­schaft ihre typi­sche Prä­gung an ihren Rän­dern erhal­te. Fran­ke nähert sich damit nicht nur dem poli­ti­schen Kern von Scha­bers Arbei­ten, er bringt auch den Kern des Inter­es­ses der vor­lie­gen­den Aus­ga­be auf den Punkt: das Oszil­lie­ren des Bil­des zwi­schen dem Visu­el­len und dem Nicht-Visu­el­len und damit zwi­schen dem Sehen und Wis­sen, eine Reso­nanz zwi­schen Wör­tern und Bildern.

Sie ber­gen einen unbe­nann­ten Ort, von dem aus sie zei­gen und von dem aus sie sich zei­gen, damit gleich­zei­tig etwas ande­res ver­schwin­den kann. Es feh­len nicht nur Bil­der, es fehlt auch etwas in den Bil­dern. Die­ses Abwe­sen­de ist aber nicht ein­fach unsicht­bar, es mar­kiert viel­mehr die grund­sätz­li­che Ambi­va­lenz und Umstrit­ten­heit der Bil­der, als Erschei­nung, als Bezeich­nung, als Erzäh­lung, als Geschich­te, als Poli­tik. Es ist der Ort der Unru­he der Bil­der und ihrer Rol­le in der Bedeutungserzeugung.

Für Ines Scha­ber selbst steht das foto­gra­fi­sche Bild eben­falls »zwi­schen Wis­sen und Sehen, in einem spuk­haf­ten, von sche­men­haf­ten Kon­tu­ren und poli­ti­schen Figu­ra­tio­nen bevöl­ker­ten Schwel­len­raum, als ein von poli­ti­schen Geschich­ten der Tei­lung gepräg­tes Feld. Ihre Arbei­ten dre­hen sich oft um ein­zel­ne oder meh­re­re his­to­ri­sche Foto­gra­fien, durch die Zeit geschick­te Bot­schaf­ten in Form von Brie­fen« und Kom­men­ta­ren, sowie ihre eige­nen Foto­gra­fien von Land­schaf­ten, die die Orte und Geschich­ten der gefun­de­nen Bil­der umkrei­sen. Sie reak­ti­viert die frag­ment­haf­te und oft ver­schüt­te­te Bedeu­tung von Orten und Ereig­nis­sen, als eine »Revol­te gegen das Gege­be­ne« und schein­bar Gesicherte.

Auch Søn­ke Gau geht in sei­nem Essay zu Uri­el Orlow davon aus, dass Geschich­te nicht ein­fach vor­han­den ist und sich nicht als objek­ti­ve, homo­ge­ne und linea­re Ord­nung ver­ste­hen lässt. Metho­den der Mikro­his­to­rie sind ein zen­tra­ler Bezugs­punkt des Künst­lers, der für sei­ne auf umfang­rei­chen Recher­chen basie­ren­den Arbei­ten eben­falls Geschich­ten erforscht. »Dem­entspre­chend sind Aus­gangs­punk­te für Orlows Recher­chen spe­zi­fi­sche Orte, die sich als Neben­schau­plät­ze beschrei­ben las­sen. Orte, die mit Ereig­nis­sen zusam­men­hän­gen, die in der hege­mo­nia­len Geschichts­schrei­bung nicht berück­sich­tigt oder aus­ge­las­sen wur­den. Es sind deren ›blin­de Fle­cken‹, die des­we­gen jedoch nicht weni­ger bedeu­tend sind, son­dern Kno­ten­punk­te ver­schie­de­ner Erzäh­lun­gen dar­stel­len.« Erneut: Ihre typi­sche Prä­gung erhält eine Gesell­schaft an ihren Rändern.

Dirck Möll­mann schrieb vier Brie­fe an Wil­lem de Rooij, in denen er jeweils eine Arbeit oder eine Serie des Künst­lers in einer gera­de­zu inti­men Wei­se befragt und erwei­tert. »Ein Werk lebt wie Brie­fe von den Lücken in der Wirk­lich­keit, vom Stol­pern in der Maschi­ne­rie der Bedeu­tung, die es pro­ble­ma­ti­siert […]. Du ver­teilst Abbil­der in neu­er Wei­se und machst sie so zu Bil­dern. Sie pro­ble­ma­ti­sie­ren das Sehen und das Machen von Bil­dern. Ihr Kon­text greift über in das Poli­ti­sche, die Ver­tei­lung wird bedeut­sam, kri­tisch, refle­xiv wie immer. Doch arbei­test Du dem Zwang der Refe­ren­zen ent­ge­gen. Die­se Kraft zieht hier wie dort den Sinn in Schwebe.«

Das Vor­läu­fi­ge und Spe­ku­la­ti­ve durch­zieht alle drei Bei­trä­ge, wobei es ein fun­da­men­ta­les Miss­ver­ständ­nis dar­stel­len wür­de, dies mit Unge­nau­ig­keit oder gar Belie­big­keit zu ver­wech­seln, im Gegen­teil: »Das Ein­kal­ku­lie­ren von Kräf­ten der Ambi­gui­tät ent­bin­det nie von his­to­ri­scher Prä­zi­si­on, wenn man das Bild als Grenz­be­din­gung ver­steht.« (Fran­ke)

In einem erwei­ter­ten Forum stel­len wir zehn jun­ge Posi­tio­nen vor, die unter­schied­li­che Ten­den­zen der zeit­ge­nös­si­schen Foto­gra­fie abbil­den: etwa for­ma­le Expe­ri­men­te, instal­la­ti­ve und per­for­ma­ti­ve Ansät­ze, das Bear­bei­ten oder Anle­gen von Bild­ar­chi­ven. Geschich­ten spie­len auch dar­in immer wie­der eine Rolle.

EAN

9783902911278

ISBN

978-3-902911-27-8

Autor

Seitenzahl

104

Verlag

Einbandart

SKU: liawolf-9783902911278 Category:
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